Am 5. November 2012 - 10:34 Uhr von Vera Linß

Thomas-Frank Dapp: Geschäftsmodelle an den Wandel anpassen, nicht umgekehrt

Thomas-Frank Dapp, Ökonom bei DB Research, der volkswirtschaftlichen Abteilung der Deutschen Bank, im IGEL-Interview: Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger würde Deutschland als Innovationsstandort zurückwerfen. Im digitalen Strukturwandel ist es nicht Aufgabe des Staates, die Pfründe der Etablierten zu sichern.

Vera Linß: Wie bewerten Sie die Forderungen der deutschen Presseverleger nach einem Leistungsschutzrecht?

Thomas-Frank Dapp: In einem marktwirtschaftlichen System werden Geschäftsmodelle an den technologischen Wandel angepasst und nicht umgekehrt. Das eingeforderte Leistungsschutzrecht würde zwar temporäre Mehreinnahmen der Verlage garantieren. Das Schutzrecht hat aber weit reichende negative Folgen sowohl für die Wirtschaft, als auch für Gesellschaft und Kultur. Es schränkt die Informations- und Kommunikationskanäle ein, behindert den wachstums- und innovationsstimulierenden Wissenstransfer und manövriert die Urheber, um die es in erster Linie eigentlich gehen sollte, nicht zwangsläufig in eine günstigere Position. Darüber hinaus entstehen durch die Einführung des Leistungsschutzrechts massive Rechtsunsicherheiten im Umgang mit der Kommunikation im Internet.

Den Presseverlegern ist ja daran gelegen, von Newsaggregatoren wie Google, aber auch von Anbietern wie Flipboard, Pulse oder Zite noch einmal ein Entgelt zu erhalten für die Nutzung ihrer Texte. Halten Sie diesen Anspruch für gerechtfertigt?

Deutschland ist eine ressourcenarme, dafür wissensintensive Volkswirtschaft. Große Teile des Bruttoinlandsproduktes werden durch Dienstleistungen generiert, viele davon sind wissensintensiv und zunehmend web-basiert. Das Wissens- und Informationspotenzial des Internets kann nur effizient genutzt werden, wenn Daten und Informationen durch Algorithmen beziehungsweise Suchmaschinen auffindbar und verwertbar gemacht werden.

Wenn die genannten Newsaggregatoren mit der Einführung des Leistungsschutzrechts Geld für die Erschließung der Informationen bezahlen müssen, steigt die Gefahr, dass deutsche Informationen aus dem Angebot von beispielsweise Google oder Microsoft gestrichen werden, das heißt konkret, dass Verweise auf deutsche Verlage entfernt und Ergebnisse aus der Suche gelöscht werden.

Nicht zuletzt werden die Aggregatoren auch deshalb vorsichtig sein, weil sie juristische Streitigkeiten vermeiden wollen. Offene Fragen sind beispielsweise: Wer würde das Leistungsschutzrecht für sich geltend machen, wer würde für welche Dienstleistung wie viel an Lizenzgebühren verlangen? Zudem profitieren die Verlage von der Viralität ihres digitalen Contents, das heißt, die Verlinkung in den jeweiligen Snippets bewirkt ja, dass die Leser auf die diversen Verlagsportale umgeleitet werden. Sollten Verlage das Anzeigen von Snippets und die Weiterleitung auf Ihre Seiten durch die Aggregatoren nicht wünschen, können sie sich ohne großen Aufwand und Kosten von der Indexierung durch beispielsweise Google ausnehmen lassen.

Im Patentrecht lassen sich vermehrt ausufernde Patentstreitigkeiten beobachten, zum Teil in Milliardenhöhe, oft initiiert durch so genannte Patenttrolle. Es ist zu befürchten, dass es analog auch im Bereich des Leistungsschutzrechtes zur Gründung von vielen Urheberrechts-Trollen kommt, also von Unternehmen, die sich ausschließlich darauf konzentrieren, Leistungsschutzrechtsverletzungen vor Gericht durchzusetzen, um Dritte zu verklagen. Dies kann natürlich eine lukrative Chance für Juristen und für Rechteverwerter, für Verlage sein, nicht aber für die Urheber selbst.

Welche Befürchtungen haben Sie mit Blick auf die Meinungsfreiheit oder andere Grundwerte, wenn ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger käme? Welche Konsequenzen hätte es für die Industrie?

Die durch die Einführung des Leistungsschutzrechts verursachte Rechtsunsicherheit würde in drohenden Abmahnungswellen, Schadenersatzforderungen und in letzter Konsequenz auch in Gerichtsprozessen münden. Dadurch würde die deutsche Volkswirtschaft als attraktiver Innovationsstandort international zurückgeworfen, gerade bezüglich neuer Geschäftsideen und Unternehmensgründungen im Dienstleistungssektor.

Das Abschließen von Lizenzverträgen ist verbunden mit Transaktions- und Suchkosten – juristisches Know-how – und viele kleine Unternehmen werden nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um den hierfür notwendigen Aufwand zu leisten. Ironischerweise würde das geplante Leistungsschutzrecht die ohnehin starke Marktposition der vorwiegend amerikanischen Suchmaschinenanbieter weiter stärken und somit die Eintrittsbarrieren insbesondere für deutsche Start-Ups erhöhen.

Zusätzlich würde das geforderte Leistungsschutzrecht für eine künstliche Verknappung digitaler Inhalte sorgen. Der Einschnitt in die Informations- und Kommunikationsfreiheit würde je nach Ausgestaltung des Leistungsschutzrechts die Anzahl künftiger Quellen für digitale Berichterstattungen und Nachrichten reduzieren.

Es ist zudem zu vermuten, dass die unternehmensinternen Budgets der Aggregatoren für die Bereitstellung von Informationsdienstleistungen nicht im gleichen Maße erhöht werden, wie ein Leistungsschutzrecht neue Kosten erzeugen würde. In der Folge hätte die Verlagsbranche zwar ihre Erlösstruktur variiert, die Einnahmen würden jedoch hinter den Erwartungen zurückbleiben. Am Ende sind viele der Forderungen aus marktwirtschaftlicher Sicht schwer zu rechtfertigen.

Haben Sie Verständnis für die Presseverleger, die in schwierigen (digitalen) Zeiten einfach sehen müssen, wie sie ihre Angebote weiter finanzieren können?

Natürlich hat die Verlagsbranche, so wie viele andere Branchen auch, durch die Dynamiken des digitalen Strukturwandels, insbesondere durch die stark steigende Nutzung web-basierter Technologien im Bereich Information und Kommunikation Einnahmeverluste hinnehmen müssen. Zusätzlich ändert sich das Konsummuster- und Mediennutzungsverhalten der Menschen bei einer rasant steigenden Adaptionsgeschwindigkeit web-basierter Technologien. Die Verlagshäuser stehen daher mit ihren Geschäftsmodellen insbesondere im Online-Bereich vor enormen Herausforderungen, dem digitalen Strukturwandel strategisch zu begegnen.

Allerdings ist es nicht Aufgabe des Staates, in einem sich wandelnden Geschäftsfeld durch Rechtsakt die Pfründe der Etablierten zu sichern. Ein Nachfragerückgang ist bei weitem noch kein Marktversagen, welches die Forderung eines Leistungsschutzrechts nachvollziehbarer machen würde. Vielleicht wird zukünftig nicht die Quantität, sondern die Qualität zunehmend Maßstab für die Zahlungsbereitschaft für Online-Content. Der Ruf nach staatlicher Regulierung darf jedenfalls nicht als Allzweckwaffe missbraucht werden, nur weil das eigene Geschäftsmodell durch die digitale Welt herausgefordert wird.

Sollte das Leistungsschutzrecht tatsächlich gesetzlich verankert werden, wird eine einzelne Branche für unabsehbare Zeit bevorzugt und ermutigt weitere Branchen, ebenfalls um finanzielle Hilfe zu rufen.

Welche alternativen Vorschläge haben Sie für die Presseverleger?

Die Zahlungsbereitschaft vieler Leser oder Internet-Nutzer ist insbesondere für die reine Online-Informationsversorgung gering. Digitale Güter können aber sehr wohl einen Preis haben. Ob allerdings die Monetarisierung immaterieller Güter in einer digitalen Welt gelingen kann, um das klassische Geschäftsmodell der Verlage aufrecht zu erhalten, sollte nicht durch eine staatliche Intervention entschieden werden. Dies sollte weiterhin den Marktkräften von Angebot und Nachfrage überlassen werden.

Neue Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und Kombinationen daraus lösen alte Geschäftsmodelle ab und sorgen für Innovationen. Investigativer Journalismus und hochwertige Hintergrundberichterstattung haben je nach Qualität schon heute die Chance, Preise durchzusetzen. Die web-basierten Technologien bieten auch Chancen auf lukrative Umsatzsteigerungen. „Paid Content“-Modelle haben zunehmend Erfolg. Dies belegen Beispiele aus der ähnlich gebeutelten Musikindustrie, die trotz der Internetpiraterie mit neuen Bezahlmodellen im Internet hohe Umsätze generiert. Auch im Online-Verlagswesen kann mit Hilfe von neuen Instrumenten wie Apps, neuen Bezahlmodellen, E-Books sowie Online-Werbung Geld verdient werden.

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