„Diese gezielte Desinformation der Öffentlichkeit hat bei Springer Methode.“

Am 4. Februar 2021 - 17:18 Uhr von Tom Hirche

Presseverlage und andere Medienhäuser sind akribisch bemüht, so oft wie möglich mit dem Finger auf Digitalkonzerne zu zeigen. Gleichzeitig werden sie nicht müde, sich selbst zu Schutzpatronen der Informationsfreiheit zu erheben. Welches Kalkül dahinter steckt, erläutert Julia Reda.

Gezielte Desinformation und Beeinflussung der Öffentlichkeit

Ende August 2019 hat Markus Beckedahl ein internes Strategiepapier zahlreicher Medienverbände auf Netzpolitik.org veröffentlicht. Danach sei eine breit angelegte Lobbykampagne geplant, die es zum Ziel habe, „Rechtspolitiker auf nationaler und europäischer Ebene, aber auch Beamte und Richter, die Entscheidungen und Urteile gegen die fünf Digitalmonopolisten Google, Facebook, Amazon, Apple und Microsoft zu treffen haben, zu ertüchtigen.“ Die eigenen wirtschaftlichen Interessen der Medienhäuser sollen hingegen verschleiert werden.

Der Plan geht auf – Rechteinhaber reiben sich die Hände

Gestern hat das Kabinett seinen Regierungsentwurf verabschiedet, mit dem die Vorgaben der neuesten EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden sollen. Vorgesehen sind einerseits zahlreiche Geschenke für Presseverleger und andere Rechteinhaber, andererseits eine Fülle neuer Pflichten für Betreiber von Online-Plattformen.

Julia Rede, ehemalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments und inzwischen unter anderem im Vorstand der Open Knowledge Foundation, hat die Entwicklung von Anfang an aktiv verfolgt. In ihrer Kolumne auf heise.de zeichnet sie anhand von Beispielen nach, wie die Medienverbände ihre Strategie erfolgreich umgesetzt wurde. Ihre Zusammenfassung:

Die Lobbystrategie basiert darauf, eine Debatte über die Macht von amerikanischen Digitalplattformen vom Zaun zu brechen, um den Anschein zu erwecken, die Forderungen der Presseverlage für die Reform des Urheberrechts dienten der Einhegung der Macht von Google, Facebook und Co. [...] Ziel ist, den falschen Eindruck zu erwecken, bei der deutschen Urheberrechtsreform ginge die Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit von den Plattformen aus, nicht etwa von Leistungsschutzrecht und Uploadfiltern.

Scheinheilige Forderungen

Als ein Beispiel nennt Reda die Forderung von Mathias Döpfner, Cheflobbyist des Bundesverbands der Zeitungsverleger BDZV und Vorstandsvorsitzender des Axel Springer-Verlags, ein Verbot personalisierter Werbung auf Online-Plattformen einzuführen. Aufhänger ist der Streit von Google und Facebook mit einer australischen Wettbewerbsbehörde. Die BILD-Zeitung aus dem Hause Springer bläst in dasselbe Rohr und titelte jüngst: „Streit um Urheberrechte: Google und Facebook drohen mit Netz-Sperre“.

Um das Urheberrecht geht es bei diesem Streit überhaupt nicht, sondern allein um das Wettbewerbsrecht. Hier werden bewusst sachfremde Themen miteinander vermischt, wie Julia Reda klarstellt. Dadurch werde versucht den Anschein zu erwecken, „dass alle, die sich angesichts des ausufernden Werbetrackings um ihre Grundrechte sorgen, logischerweise auch für Verschärfungen des Gesetzesentwurfs über Uploadfilter und Leistungsschutzrecht sein müssten.“

Die Forderung Döpfners sei perfide, „weil der Verband der Presseverleger, dessen Präsident Döpfner ist, durch Lobbying in Brüssel Seite an Seite mit den Online-Plattformen und Telekomkonzernen seit Jahren jegliche Regulierung des Online-Trackings durch die ePrivacy-Verordnung blockiert.“ Denn ein allgemeines Verbot personalisierter Werbung würde auch die Verlagswebseiten treffen, die besonders stark auf Tracking und Targeting setzen. Dazu schrecken sie auch nicht vor gezielter Manipulation zurück.

Mit dreisten Lügen zum Erfolg

Eine weitere Forderung betrifft die Ausnahmen, nach denen die Veröffentlichung von Texten, Bildern sowie Ton- und Videoaufnahmen auf Online-Plattformen künftig pauschal erlaubt sein soll. Ursprünglich war bei Texten eine Grenze von 1.000 Wörtern vorgesehen. Doch „prompt wurden die Print-Zeitungen mit empörten Meinungsbeiträgen aus der Verlagsbranche geflutet, die von Enteignung oder gar der ,Tausend-Zeichen-Enthauptung‘ sprachen“.

Der Clou: Die EU-Urheberrechtsrichtlinie sieht überhaupt nicht vor, dass Presseverlage von den neuen Pflichten der Online-Plattformen profitieren sollen. Der Bundesregierung scheint dies jedoch egal zu sein. Und damit nicht genug: Nach dem Regierungsentwurf liegt die Grenze inzwischen bei 160 Zeichen. Julia Reda findet dafür klare Worte und spricht zugleich eine Warnung aus:

160 Zeichen sind so lachhaft wenig, dass damit nicht nur Zitate durchschnittlicher Länge (rund 300 Zeichen) oder die Wiedergabe eines einzelnen Tweets (280 Zeichen) unmöglich gemacht würden. Selbst der Name der EU-Urheberrechtsrichtlinie, voll ausgeschrieben, umfasst 220 Zeichen – wir können uns also auf die automatische Sperrung von Uploads gefasst machen, die überhaupt nicht aus fremden Artikeln zitieren, sondern einfach den Namen eines Gesetzes erwähnen, der ebenfalls in geschützten Presseartikeln auftauchen könnte. Wer die automatische Sperrung von Texten bei einer so geringen Übereinstimmung erlaubt, riskiert massive Kollateralschäden für die Informationsfreiheit und ein unüberschaubares Uploadfilter-Chaos.

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